Seit dem formellen Beginn der ‚Neuen Normalität‘ hat es eine antiautoritäre grundsätzliche Kritik am Lockdown gegeben, ohne dass dabei etwa das altnormal verteidigt worden wär. Diese Kritik aus verschiedenen Kreisen hat natürlich weniger Öffentlichkeitsaufmerksamkeit erhalten als bürgerliche Oppositionsbewegungen, wobei deren altmodisch reaktionärer Teil als Buhmann sogar medial sehr beworben wurde, da eine falsche Opposition den Herrschenden allemal lieber ist als die radikale theoretische und praktische Kritik aller herrschaftlichen Verhältnisse.
Und auch die Linken haben sich in ihrer klassischen Rolle als Feuerwehr alle Mühe gemacht, eine nur schon intelligente, geschweige denn revolutionäre Kritik stillzuschweigen und mundtot zu machen, damit auch ja nichts entstehen solle, dass über ihre platten Schemen hinausgeht. Auch die revolutionäre und antiautoritäre Linke hat gehofft oder gar nachgeholfen, dass eine revolutionäre Kritik, welche im 21. Jahrhundert angekommen ist, und nicht in jene falschen Gegensätze gespalten ist, welche den Herrschenden so dienlich sind, weil sie die wirklichen Gegensätze gar nicht erst aufkommen lassen, dass eine solche Kritik gar nicht erst in ihren Reihen entsteht.
Und so haben sich eben vor allem kleinere Kreise, die schon vor Jahren eine Kritik an der Linken entwickelt hatten, auch dazu erdreisten können, sich gegen alle Massnahmen zu stellen, daran nicht etwa eine „legitime“, sondern eine gesetzlose Kritik zu entwickeln. Dass dabei die Kritik auch oft wieder die Linken getroffen hat, war notwendig um eine Scheidung und Klärung herbeizuführen, welche in Deutschland leider allzu verspätet vor sich geht. Aber die Brüche vollziehen sich, das Scheitern des Linkstums liegt für alle offen da, und die Fragen sind doch eher neue, die nun Klärung verlangen, auch wenn das Risiko, dass gewisse Kräfte eine Neuauflage der Linken unter anderem Namen herbeiführen werden, durchaus analysiert und kritisiert werden muss.
Was ein möglicher Mangel der radikalen Kritiken an der bürgerrechtlichen, rinken und lechten Opposition gegen den Lockdown betrifft, so sei er eingestanden. Aber man hat ihn unterlassen, weil diese Kritik in aller Munde war, aber als durchweg falsche Kritik, die die herrschenden Verhältnisse bestätigt und untermauert. Was hatte es für einen Nutzen, sich ebenso an den Reichsbürgern und anderen Kleinstminderheiten aufzuhängen, während die Linke gerade durch ihr offen konterrevolutionäres Auftreten durchaus mehr dazu beigetragen hat als diese selbst, dass die Leute diesen in die Arme laufen. Die Diskurshoheit, die die Linken ja in gramscianischer Manier erreichen wollen, hat gerade die Funktion, den Menschen jenes Denken zu erschweren, das antipolitisch gegen links und rechts, vor allem aber gegen oben gerichtet ist. Der Strudel der Diskurse und das Zugeballer mit Bildern führte dazu, dass die meisten wohl erstmal desorientiert mitmachten, und durchaus dem Normalbürger die Überwindung, die eine Kritik am Lockdown benötigte, dadurch erschwerte, dass ihm suggeriert wurde, er müsse dazu auch noch mit jenen konservativ-reaktionären Werten übereinstimmen, welche ihm die falsche Opposition anbietet.
„Revolutionäre greifen … Neofaschisten (oder Trump, oder Putin, oder Orban) nicht als „undemokratische Kräfte“ – die Konzentrationslager für Immigranten und die neokolonialen Kriege wurden eingeführt, gewählt und gerechtfertigt durch die institutionelle Linke… – sondern als reaktionäre Parodien des Klassenkampfes an. Sie greifen sie nicht deswegen an, weil sie „Hass“ schüren, sondern weil sie ihn im Dienst des Staates und der Bosse kapern.“ (Against the State and its massacres. Anarchist comizi in the streets of Trieste, autumn 2020)
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Hier soll es nun angehen, ein kleinwenig die Entwicklung jener Kritik und Analyse des „Lockdowns“ nachvollziehbar zu machen, welche sich unabhängig von jedwelchen Querdenkern, Bewegungsverwaltern und rechten wie linken politischen Theorien entwickelt haben. Vielleicht hilft es ja einigen, ihre Defizite etwas aufzuholen und ihren Horizont etwas zu erweitern.
Ausnahmezustand 2020
Beginnend am 11. März 2020, war diese Seite eine Dokumentation über die Ereignisse in Italien, bevor es in Deutschland u.A. zu einem Lockdown kam. Grundsätzliche aufständisch-anarchistische Analysen wurden darin übersetzt, Informationen über die Gefängnisaufstände ebenso wie leiseste Zeichen der Rebellion gegen die Masseneinsperrung auch ausserhalb der Gefängnisse dokumentiert. Schon bevor also diese Art Massnahmen auch in Deutschland, Österreich und der Schweiz stattfanden, konnte man sich hier schon damit beschäftigen was wohl auf einen zukam – und möglicherweise gar minimal vorbereiten.
Zündlumpen
Ebenfalls bereits bevor die Massnahmen hierhergeschwappt waren, druckte der Zündlumpen verschiedentlich Analysen, vor allem übersetzte aber auch eigene, die den Lockdown kritisierten. Die Zeitung, welche sich innerhalb kürzerer Zeit von einem linksanarchistischen zu einem aufständisch anarchistischen Organ mit queernihilistischem und antizivilisatorischem Einschlag weiterentwickelt gehabt hatte, entwickelte nun eine vertiefte und vielfältige Analyse der Situation, und wurde den Linken zu einem Dorn im Auge, da sie eine ganz klar subversive Kritik an den Massnahmen entwickelte – die übrigens bereits vor Querdenken und ähnlichen Flops entstand. Auch dokumentierte der Zündlumpen ausführlich die vielfältigen anarchistischen Schmierereien gegen den Lockdown in München, ebenso wie Sabotagen und Aktionen in aller Welt. Das Virus Radio wurde ursprünglich in dieser Zeitung veröffentlicht.
Das Projekt ist vor einiger Zeit aufgrund von Repressionsbefürchtungen eingestellt worden, Repression folgte dann allerdings doch trotzdem aufgrund polizeilicher Konstruktionen, welche die Zeitung zu einer kriminellen Vereinigung machen sollen, der sie einige Gefährten zuordnen.
Ein Nachfolgeprojekt des Zündlumpens ist der Zündlappen.
Magazinredaktion
Benannt nach einem relativ studentisch situationistischem „Magazin“ ist diese Website mitunter in der vordersten Reihe gestanden, wenn es darum geht sich aus einer subversiven Sicht gegen den Lockdown zu wenden. Bereits im März 2020 publizierte man hervorragende Analysen und war auch nicht zu feige, ausführlich das mit dem Sterben „mit oder an“ zu erklären, vor all den Querdenkern und Youtubesternchen im übrigen.
Eine zeitlang wohl etwas vom niveauvollsten und amüsantesten was gegen den Lockdown anredete, ist die Tendenz zwar antiautoritär, allerdings finden sich auch immer wieder paradox anmutende Ergüsse, welche allzu sehr sich in Realpolitik sich verwickeln (teilweise wohl auch Getrolle). Anarchistisch will man nicht sein, hängt am Kommunismus, steht aber doch weit entfernt von dem was sich gewöhnlich so schimpft. Auf jeden Fall anregend und weiterführend, aber leider dann doch allzu widersprüchlich manchesmal. Die Scherbentheorie, der man anhängt, verleitet dann auch zu allerhand Allianzen und Der Erreger, der aus diesem Dunstkreis kommt, riskiert, nur eine Neuauflage linker Bündnispolitik auf Anti-Massnahmen-Boden zu werden. Aber man wird es sehen.
In der Tat
Die print only Zeitschrift In der Tat, die seit einigen Jahren vierteljährlich erscheint, hat sich zeitweise ausführlich mit dem Neunormal auseinandergesetzt, dabei stark auf vorhergehende Analysen der Gesellschaft/Zivilisation als Freiluftgefängnis zurückgegriffen, und ist in einer einfachen und klaren, trotzdem aber vertiefenden Art gehalten. Sie vertritt einen relativ reinen aufständischen Anarchismus ohne allzu viel Firlefanz, was dazu führte, dass sie wie auch der Zündlumpen von Linken stark angefeindet wurde.
Bestellbar via indertat[ät]riseup.net
AKTION 4.0
Eine Onlinepublikation, in der Nachfolge der Aktion von Pfemfert und Lutz Schulenburg. Vor allem ein Wörterbuch über die neuesten Sprachverunstaltungen ist von Interesse, zwar ist man nicht mehr so radikal wie einst die Subrealisten, aber doch ist man korrekt geblieben und liess sich nicht gleichschalten. Die Seite ist leider etwas unübersichtlich, aber ein Menü links oben hilft, zumindest die Aktion 4.0 zu überschauen…
Aus dem Giftschrank
Eine kleine Edition anarchistisch-schwurblerischer Analysen und Kommentare, teilweise wirklich geschmacklos in der Titelsetzung, aber man nennt sich auch selbst „Geschmacklose und obszöne anarchistische Provokationen und Interventionen gegen Medizin und Wissenschaft.“ Wer sich allerdings von Titeln nicht abschrecken lässt, wird einige gute Analysen finden…
Ada Frankiewicz
Nicht nur die Kakaosucht ist sympathisch. Auch die Analysen in „Freiheit zur Krankheit“ sind zumindest eine Betrachtung wert, die Parodien ohnehin. Mit einem eigentlich gewaltfrei anarchistischen Background, ist man dabei überraschenderweise weder moralisch noch langweilig, sondern produziert seit Jahren auch amüsante Satiren und intelligente Analysen – wenn auch etwas postmodern.
Die Schönen Rosen
Anarchafeministisch und trotzdem schwurblerisch, und nicht politisch korrekt am Mitlaufen. Aus einer Tradition, der Feminismus noch von Frau kommt, ist man vielleicht gerade aufgrund der Ablehnung postmoderner Queertheorien stämmig genug, auch der restlichen postmodernen Propaganda nicht auf den Leim zu gehen. Manchmal etwas ungeschliffen und roh, finden sich zumindest einige Perlen auf dieser Seite…
Das sei es nun mit dieser Liste erst einmal. Die soll keine Vollständigkeit haben, sondern nur aus einigen Hinweisen und Kommentaren bestehen. Natürlich gibt es noch mehr, das man erwähnen könnte. Etwa ist die Zeitung Fernweh auch während dem Lockdown ganz stabil geblieben, und bot jedem triftige Gründe um draussen zu sein. Auch die Soligruppe für Gefangene bot einige Übersetzungen guter Analysen international zum Coronathema, aber auch viel Quatsch war darunter. Das Statement der Gruppe selbst zum Thema liess auf sich warten, konnte sich dann aber sehen lassen. Die Kanaille, als weitere anarchistische offline-Publikation blieb ebenso respektabel, hätte aber ruhig auch etwas deftiger dreinschlagen können…
Noch zu erwähnen wären vielleicht Sunzi Bingfa und Non.Copyriot. Beide publizierten einiges gutes „über Corona“, haben auch sonst spannendes Material, beide scheinen uns aber allerdings auch einen gefährlichen Mischmasch von Antiautoritärem und Autoritärem zu bieten. Sie stellen damit eine postlinke Tendenz dar, welche Gefahr läuft, zu einer Rekuperation oder gar einem Stein im Weg der Befreiung zu werden. Nicht dass diese Gefahren nicht auch anderswo, ja, sogar überall lauern würden. Aber man liebäugelt allzu sehr mit offen autoritären Gruppen, und im Falle von Non.Copyriot scheint man es durchaus anzustreben, gewisse Fehler der Appelisten in Frankreich zu wiederholen.
Wieso aber diese Liste überhaupt, frage ich mich noch einmel… Vielleicht kann man sie als Empfehlungen des Superspreaders betrachten, zumindest bieten sie einen Überblick über etwas, das sich während Corona herauskrystallisiert hat, wobei ich sicher einiges Vergessen habe. Z.B. soll auch die Zeitung Abwärts! ganz gut sein… aber die kenne ich nicht. Gewissermassen will ich vielleicht auch eine Phase markieren, verhindern dass man allle Analysen noch einmal machen muss. „Zu Corona“ wurde eigentlich schon alles gesagt. Es liegt allerdings daran, diese Analysen zu verfeinern, ebenso, wie sie überhaupt bekannt zu machen. Ernstzunehmende Anarchisten und freiheitliche Rebellen oder gar Revolutionäre haben zumindest keine Sekunde daran gezweifelt, was man von der staatlichen Masseneinsperrung und Ausgangssperren die euphemistisch irgendwie anders genannt wurden, zu halten ist. Und einige haben es auch zu papier, oder zumindest in die Öffentlichkeit des Netzes, in dem sich die Menschheit verfangen hat, gebracht.
Im Übrigen sei zu erwähnen, das Seiten wie Indymedia, aber auch Barrikade u.Ä. in jener Zeit massiv und systematisch Zensur geübt haben gerade an jenen Analysen, Aufrufen und Kritiken, welche sich gegen den Lockdown gestellt haben. Die paar Sachen die man aus irgendwelchen Rücksichten online belassen hat, machen das nicht wieder wett. Wir rufen deshalb zum Boykott dieser Seiten auf, und ebenso dazu, eventuelle anarchistische Alternativen dazu zu schaffen. Ob aufstand.blackblogs.org eine ist, wird sich ja zeigen…
Gerne nehmen wir Hinweise hin, welche uns auf andere Quellen aufmerksam machen, die zu einer nicht quarantänisierten Anarchie beitragen könnten. Aber halbe Kritiken, die bei „legitimen“ Kritikpunkten stehen bleiben, und somit der eigentlichen Hygieneideologie auf den Leim gehen, interessieren uns dabei nicht. Davon wurde viel publiziert, das eine belangloser als das andere. Manche der Autoren mögen nette Leute sein, mit denen man auch noch normalmenschlich zusammenkommen kann. Das perfide: gerade dies lässt sich meist kaum erkennen, es fehlt das eigentliche Bekenntnis dazu, kein neu-moralischer Mensch zu sein, das Bekenntnis zu sich als lebendiges Individuum. Es wurde hier auch bewusst nicht allzu sehr auf jene geachtet, welche ein-zwei Jahre zu spät herausfinden, dass sie sowas dann doch ablehnen. Sie haben die Untauglichkeit ihrer Kritikinstrumente gezeigt, und könnten sie getrost gegen bessere austauschen. Hier soll nur zusammengefasst werden, was bereits von Beginn an gesagt, analysiert und ausgetauscht wurde. Die Hoffnung ist nicht unrealistisch, dass einiges davon zu mehr als nur den paar üblichen Verdächtigen durchdringt und – wer weiss – zur Entwicklung einer Bewegung führt, welche anarchistisch und aufständisch sein könnte. Wer weiss, wer weiss…